Im Interview schildert Stefan Vanselow die Entstehung der KI-Aktion.
Wie sind Sie auf die Idee dazu gekommen, zum Thema "Menschen, Götter und Maschinen" mit Hilfe von ChatGPT ein Gedicht schreiben zu lassen und dieses anschließend als Uraufführung zu vertonen?
Stefan Vanselow: Superintendent Dr. Stephan Vasel hatte die Hamelner Kantorei und mich gebeten, den Jahresempfang des Kirchenkreises am 13. November im Münster musikalisch auszugestalten. Im Mittelpunkt der Veranstaltung sollte ein Festvortrag von Prof. Dr. Dr. Wolfgang Huber mit dem Titel „Menschen, Götter und Maschinen“ über die Ethik der Digitalisierung stehen. Da ich unsere Musikauswahl gern inhaltlich am Thema der jeweiligen Veranstaltung ausrichte, hatte ich die Idee, mit Künstlicher Intelligenz einen Liedtext über Chancen und Risiken der Digitalisierung aus christlicher Perspektive zu generieren und diesen dann durch eine weitere Künstliche Intelligenz im Stil eines Chorals von Johann Sebastian Bach vertonen zu lassen.
Wäre es nicht an der Zeit, auch andere Lieder im Gesangbuch dergestalt einer Erneuerung zu unterziehen?
Stefan Vanselow: Nein, ich sehe nicht, wie Künstliche Intelligenz bei der Überarbeitung des aktuellen Gesangbuchs beteiligt werden könnte. Im Übrigen haben aus meiner Sicht weder der Text noch die Musik der beim Jahresempfang des Kirchenkreises uraufgeführten Komposition einen hohen künstlerischen Wert.
Bitte spekulieren Sie: Was würde wohl Johann Sebastian Bach zu dieser Aktion sagen?
Stefan Vanselow: Ich weiß nicht, wie Bach über moderne Technik dachte. In der Musik seiner Zeit dürfte er moderner Technik vor allem im Orgelbau begegnet sein: Bach war einer der bedeutendsten Orgelvirtuosen seiner Zeit und ein gefragter Orgelsachverständiger. Musikalisch war er als junger Mann sehr modern, in späteren Lebensjahren eher konservativ. Andererseits sind seine frühen Kompositionen lebendiger und unsystematischer, während das Spätwerk oft auf komplizierten Konstruktionen beruht. Einen Schutz des Urheberrechts, wie wir ihn heute fordern, kannte Bachs Zeit nicht. Nimmt man alle diese Aspekte zusammen, so kann ich mir vorstellen, dass Bach die Aktion zumindest interessant gefunden hätte. Allerdings hätten Text und Musik des Ergebnisses sicherlich nicht seinen Qualitätsansprüchen standgehalten.
Aktuelle Studie: Menschen komponieren besser als Maschinen
Interessant in diesem Zusammenhang ist eine aktuelle Studie an der Musikhochschule Hannover. Sie untersuchte die Kompositionsfähigkeit von Künstlicher Intelligenz. Überraschendes Ergebnis: Menschliche Komponisten sind besser. Leiter der Studie ist Reinhard Kopiez, seit 1998 Professor für Musikpsychologie an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Für das Experiment wurden die Anfangstakte einer Melodie aus einem unbekannten Musikstück im Stil von Filmmusik ausgewählt. ChatGPT und Google Magenta Studio erstellten daraus insgesamt 111 Fortsetzungen, Studierende der Musik 57 Varianten. 71 Teilnehmende mit großer musikalischer Erfahrung bewerteten die Melodien nach Kriterien wie „Gefallen“, „Interessantheit“, „logisch und sinnvoll“ sowie „überzeugend“. Auf allen Skalen erhielten die menschlichen Kompositionen deutlich bessere Bewertungen als die KI-Versionen. Die Studie ist im „Jahrbuch Musikpsychologie“ erschienen. Harald Langguth