75 Jahre Grundgesetz – Feier im vollen Gotteshaus

Nachricht Hameln, 26. Mai 2024

Der 23. Mai ist ein wichtiger Grund für eine Feier – sowohl für Demokraten als auch für Christen. Denn seit 75 Jahren besteht an diesem Tag das Grundgesetz in Deutschland. Der Ev.-luth. Kirchenkreis Hameln-Pyrmont lud deshalb am 23. Mai zu einer Geburtstagsfeier ins Münster St. Bonifatius. Viele Menschen kamen - das Hamelner Gotteshaus war bis auf den letzten Platz gefüllt.

In einer kleinen und später in einer größeren Talkrunde sprachen Superintendent Dr. Stephan Vasel, Hamelns Amtsgerichts-Direktor Dr. Georg Gebhardt, Oberbürgermeister Claudio Griese sowie Gisela Grimme, ehemalige Schulleiterin der Elisabeth-Selbert-Schule, über die segensreichen Vorzüge der Deutschen wichtigster Gesetzestafel.

Mit dabei war auch der Leistungskurs Politik Jahrgang 12 am Viktoria-Luise-Gymnasium. Für die musikalische Untermalung sorgte der vielgelobte Quilisma-Jugendchor aus Springe unter Leitung von Tammo Azam. Vasel und Gebhardt waren die Ideengeber der Geburtstagsfeier.

Die Würde des Menschen ist unantastbar

Rückblick – Lob – Zukunft: In diesem Dreischritt schauten alle Mitwirkenden auf den Weg des Geburtstagskindes. Den Anfang machte der Rückblick auf das Gedankengut des Grundgesetzes am Beispiel von Art. 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. „Das Grundgesetz ist zutiefst von christlichem Gedankengut geprägt. An erster Stelle steht das Individuum – ganz im Gegensatz zu anderen Staatsformen wie in Russland oder China, wo das Kollektiv diesen Rang einnimmt“, berichtete Dr. Gebhardt. Auch die Unterschiede zu anderen Verfassungen wurden beleuchtet – sie alle begehen in diesem Jahr einen runden Geburtstag: die Französische Menschenrechtserklärung von 1789 (heute vor 235 Jahren), die Frankfurter Paulskirchenverfassung (175 Jahre) sowie die Weimarer Reichsverfassung (110 Jahre). „In diesen drei Verfassungen waren die Grundrechte nicht einklagbar. Sie spielten meist nur eine untergeordnete Rolle und besaßen keine Ewigkeitsgarantie wie das Grundgesetz“, betonte Dr. Gebhardt.

Die wesentlichen Grundrechte habe sich Deutschland hart und schmerzhaft erarbeiten müssen, sagte Dr. Vasel. Er bezog sich dabei vor allem auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Glaubensfreiheit.

Männer und Frauen sind gleichberechtigt

Im zweiten Teil hatte das Lob seinen Platz – am Beispiel der Grundgesetz-Innovation der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Untrennbar verbunden ist dieses Thema mit Elisabeth Selbert, neben 61 stimmberechtigten Männern nur eine von vier Frauen, die das Grundgesetz erarbeiteten.  Gisela Grimme hatte die Elisabeth-Selbert-Schule in Hameln viele Jahre geleitet. Sie berichtete den Zuhörern vom beschwerlichen beruflichen Lebensweg Elisabeth Selberts, und wie sie sich für die Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ im Grundgesetz stark machte. Sie setzte sich damit gegen den Gummiparagraphen „Männer und Frauen haben grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ aus der Weimarer Verfassung durch. Denn „grundsätzlich“ heißt nicht „immer“ und lässt viel Raum für Ausnahmen zu. „Aber haben wir heute wirklich die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Deutschland erreicht?“, fragte Grimme laut. Dem ersten Bundestag hätten zu 30 Prozent Frauen angehört. Im aktuellen Bundestag gebe es mal gerade 31 Prozent weibliche Abgeordnete. Für diese und weitere Aussagen zur späten Gleichstellung der Frauen in Deutschland erhielt die einstige Schulleiterin immer wieder starken Applaus.  

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus

„Suchet der Stadt Bestes“ ist ein geflügeltes Wort – es stammt vom Propheten Jeremia (Jer 29,7). Wer wäre in Hameln berufener dazu etwas zu sagen, als Oberbürgermeister Claudio Griese? fragte Dr. Vasel. Griese nahm den Ball auf und machte das Demokratieprinzip „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ zu seinem Thema. Demokratie müsse oft auch Dinge aushalten, sagte der Oberbürgermeister und schuf damit einen Bezug zu den aktuellen Anfeindungen der Demokratie aus der rechtsradikalen Ecke.

Aller guten Dinge sind drei: In die Zukunft des Grundgesetzes blickte der Politik-Leistungskurs des Viktoria-Luise-Gymnasiums mit einem szenischen Spiel auf den noch relativ jungen Artikel 20a. Dieser schützt die natürlichen Lebensgrundlagen. Laut einem Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 haben jüngere Generationen einen verfassungsrechtlichen Anspruch, die Lasten des Klimawandels nicht allein tragen zu müssen. Klimaschutzfragen haben somit in Deutschland den gleichen einklagbaren Rang wie die Grundrechte.

„Wir haben heute das Grundgesetz-Jubiläum in einer vollbesetzten Kirche gefeiert. Darauf bin ich ein kleines bisschen stolz“, sagte Superintendent Stephan Vasel nach der Veranstaltung. Die Freude im Gesicht war ihm bei diesem Satz anzusehen.