Christen und Juden - Geschwister im Glauben

Nachricht Hameln, 09. Juni 2024
Begrüssung durch Bernd Himler | Leiter Abtl. Familie & Soziales der Stadt Hameln

Mit der Veranstaltungsreihe „Hameln ist bunt. Vielfalt erleben. Für Menschenrechte und Toleranz“ machte die Rattenfängerstadt im Mai und Juni auf die Bedeutung von Menschenrechten, Toleranz und Vielfalt in der Gesellschaft aufmerksam. Kernaspekte dieses Projekts sind ein tieferes Verständnis für die Vielfalt des Menschseins, den respektvollen Umgang miteinander und die Förderung eines friedlichen Zusammenlebens.

Diesen Toleranzgedanken beleuchtete auch eine Veranstaltung des Ev.-luth. Kirchenkreises Hameln-Pyrmont in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Hameln. „Toleranz und Intoleranz – ein christlich-jüdischer Dialog“ fand am 5. Juni in der Synagoge Hameln statt. Im Dialog miteinander waren Rabbinerin Dr. Ulrike Offenberg und Superintendent Dr. Stephan Vasel. Von Seiten der Stadt begrüßte Bernd Himler, Leiter der Abteilung Familie und Soziales, herzlich die Anwesenden in der Synagoge.

Über Jahrhunderte tödliche Unterschiede im Glauben

Dr. Vasel & Dr. Offenberg im Dialog
Dr. Vasel & Dr. Offenberg im Dialog

Dr. Vasel skizzierte in seinem Vortrag die Entwicklung des viele Jahrhunderte problematischen Verhältnisses zwischen Christen und Juden. Dazu führte er Kain und Abel an. Kain hatte bekanntlich Abel erschlagen, so wie die Christen die Juden im Mittelalter in Pogromen verfolgten – in den langen Linien ihres tödlichen Unterschieds im Glauben. Selbst Martin Luther habe dazu aufgefordert, Rabbinern das Predigen zu verbieten und Synagogen zu verbrennen, erinnerte Dr. Vasel an ein trübes Kapitel des Kirchenreformers. Neben der wechselseitigen Rechthaberei hätten beide Seiten es lange nicht gesehen, dass sie Geschwister im Glauben seien. „Meine Kirche ist offen für alles – aber nicht für Intoleranz. Aus der Geschichte zu lernen und den Geist des Christentums zu verstehen bedeutet heute: Wir suchen und finden Wege, friedlich mit religiösen Unterschieden zu leben“; führte Vasel weiter aus. „Liebe Gott – liebe deinen Nächsten – das ist der Kern christlichen Glaubens.“ Genau darauf einigt sich Jesus im Markusevangelium in einem Gespräch mit einem Schriftgelehrten. Und trotz aller Differenzen spricht er ihm zu: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes“ (Markusevangelium 12,34).

Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst

Rabbinerin Dr. Ulrike Offenberg spann diesen Gedanken weiter: „Auch in der Thora lautet das höchste Gebot nach Rabbi Akiwa im 3. Buch Mose 19 – bei uns Juden in Leviticus 19: Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst.“ Rabbi Akiwa lebte etwa 100 Jahre nach Jesus im Heiligen Land. Für Dr. Offenberg ist dieser Text der wichtigste in der Bibel. Die vorrangige Verpflichtung eines gläubigen Menschen sei daher das Gebot der Nächstenliebe.  Alle Menschen würden in Genesis 5 – gleichbedeutend mit 1. Buch Mose 5 auf Adam und Eva zurückgeführt und seien grundsätzlich gleich. Jeder Mensch habe einen Anspruch auf Respekt und Gottesebenbildlichkeit. Toleranz bedeute, die Perspektive des anderen einzunehmen und sich in seine Schuhe zu stellen.

Intoleranz bedeutet Ich-Schwäche

Diskussionsrunde in der Synagoge mit Dr. Vasel und Dr. Offenberg
Diskussionsrunde in der Synagoge mit Dr. Vasel und Dr. Offenberg

Unmoralisches und unethisches Verhalten sei dagegen Gotteslästerung. Die größte Gefahr für Intoleranz seien Rückzug und Abschottung von der Welt. „Intoleranz hat etwas mit Ich-Schwäche zu tun. Besitzt man eine stabile Identität hat man das nicht nötig“, bekräftigte die Rabbinerin. Elitismus in einer Religionsgemeinschaft bedeute die Abwertung anderer Religionen. Gefährlich werde es, wenn dieser Extremismus mit politischer Macht und Einfluss ausgestattet sei. Davon unbelastete Religionen machten der Gesellschaft jedoch über Gespräche ein wichtiges kulturelles Angebot.

Tägliche Nächstenliebe praktizierten beispielsweise die diakonischen Einrichtungen der Evangelischen Kirche. Dr. Vasel nahm diesen Gesprächsfaden auf: „Wir haben 24 Kitas im Kirchenkreis. Das Thema religiöse Vielfalt von evangelischen Christen, Moslems und Konfessionslosen müssen wir über diese Kitas vermitteln. Da geht uns etwas in der Gesellschaft verloren, wenn wir das nicht bewusst betreiben.“

Erste Thorarolle – gestiftet von Hamelnern

Popkantor Marco Knichala
Popkantor Marco Knichala

Die Hamelner Rabbinerin – sie vertritt 150 Mitglieder in der jüdischen Gemeinde – erinnerte daran, dass der christlich-jüdische Dialog in Deutschland seit 50 Jahren ein noch junges Phänomen sei. Ein Zuschauer freute sich über den Gewinn der jüdischen Gemeinde für Hameln. Offenberg betonte die Einmaligkeit der aufgeschlossenen Hamelner Stadtgesellschaft: „Ein Geschenk, das hier in 25 Jahren gewachsen ist. Auch die erste Thorarolle wurden von Hamelnern gestiftet.“

Einen weltlichen Aspekt betonte ein Mitglied der jüdischen Gemeinde: „Für mich ist das Grundgesetz die Grundlage unseres friedlichen Zusammenlebens in unserer Gesellschaft. Das steht noch über der Thora, der Bibel und dem Koran. Ich halte den für intolerant, der das anders sieht.“ Für diese Aussage erhielt er langanhaltenden Beifall.

Für die abwechslungsreiche musikalische Rahmung des Abends sorgte Marco Knichala, Popkantor im Kirchenkreis Hameln-Pyrmont.  

Öffentlichkeitsbeauftragter des Ev.-luth. Kirchenkreis Hameln-Pyrmont | Harald Langguth